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Bilde ich mir alles nur ein?

Die Bildgebung des Gehirns beginnt, uns zu zeigen, wie das Nervensystem bei Patienten mit funktionellen und dissoziativen Symptomen fehlerhaft funktioniert. Dieses Bild zeigt ein SPECT scan eines Patienten mit funktioneller Lähmung und Gefühlsstörung an einer Körperhälfte. Das Bild zeigt, dass bei Auftreten der Symptome die andere Gehirnhälfte fehlerhaft funktionierte (gelb). Diese Art von Bildgebung kann die fehlerhafte Funktion von Nervensystem und Gehirn bei diesen Erkrankungen darstellen. Aber das heisst nicht, dass man etwas dagegen tun kann. Bild aus: Vuilleimier et al. Brain 2001

Eines der größten Probleme für Patienten mit funktionellen oder dissoziativen neurologischen Symptomen ist das Gefühl, dass man Ihnen nicht glaubt. Einer der Gründe dafür ist, dass viele Ärzte keine große Erfahrung mit Beschwerden haben, welche nicht durch eine Krankheit an sich ausgelöst werden und Forschung auf diesem Gebiet ist spärlich.

Einige Ärzte glauben Patienten mit diesen Symptomen wirklich nicht. Andere glauben jedoch fest daran, dass es ein Problem gibt und sind auch bestrebt, gleichermaßen wie z. B. bei einer Multiple Sklerose, zu helfen.

Also, wenn es sich um einen wahren Zustand handelt, aber keine Krankheit ist, was ist es? Bilden Sie sich alles nur ein?

Die Antwort lautet, dass Sie sich nichts einbilden oder gar erfinden und dass Sie nicht “verrückt” werden. Sie haben funktionelle/dissoziative Symptome.

Sich an diesen Gedanken zu gewöhnen kann einige Zeit brauchen. Sie haben keine Krankheit, sie bilden sich die Beschwerden aber auch nicht ein.

Folgende Aspekte könnten dabei helfen:

• Beispiel Migräne. Manchmal hilft es, Ihre Beschwerden mit jenen bei Migräne zu vergleichen.  Migräne ist häufig, Bildgebung und andere Tests sind unauffällig und verschiedene seltsame neurologische Symptome wie Lichtblitze, Gefühlsstörungen oder sogar Lähmungen können auftreten. Bei der Migräne wissen wir etwas besser über die betroffenen Gehirnabschnitte Bescheid und auch dass Nervenzellen im Gehirn falsche Signale abgeben. Aber dennoch, die Diagnose wird rein basierend auf Ihren Erzählungen gestellt.

• Wenn jemand hypnotisiert wird, handelt es sich um reine Phantasie oder befindet sich die Person in einem veränderten Bewusstseinszustand? Viele Leute sind für Hypnose empfänglich. Wir alle haben Menschen im Fernsehen gesehen, die hypnotisiert wurden und nicht mehr volle Kontrolle über ihre Gedanken und Handlungen hatten. Man braucht nicht psychisch krank zu sein um hypnotisierbar zu sein. Ist eine hypnotische Trance ein veränderter Zustand des Gehirns oder eine veränderte psychische Verfassung? Beide Antworten können richtig sein, oder vielleicht sogar besser – es ist die falsche Frage. Genauso macht es bei funktionellen oder dissoziativen Symptomen keinen Sinn zu fragen, ob sich alles in der Psyche abspielt. Beide – Psyche und Gehirn – sind wichtig.

• Warum ist es in Ordnung sich eine Depression einzugestehen, wenn man Multiple Sklerose hat? Viele Patienten mit neurologischen Erkrankungen werden depressiv und ängstlich. Schmerz, Behinderung, Unsicherheit über die Zukunft, die Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Beziehungen können alle ihren Tribut fordern. Es ist interessant, dass Menschen mit einer Diagnose wie Multipler Sklerose in der Regel keine großen Probleme haben einzugestehen, dass sie besorgt sind oder eine herabgesetzte Stimmung haben. Niemand stellt deren neurologische Erkrankung in Frage, daher ist es in Ordnung diese Dinge zuzugeben – die Mitmenschen können dies verstehen.

Viele Menschen mit funktionellen Symptome sind NICHT depressiv oder ängstlich. Aber wenn sie es sind, kann es schwierig sein dies zuzugeben. Wenn Patienten zum Beispiel an einer funktioneller Schwäche mit Schmerzen und Müdigkeit leiden, gibt es mehrere Gründe, warum sie nur ungern erzählen würden, dass sie besorgt oder depressiv sind:

   – viele Leute haben noch nie von solchen Beschwerden gehört und könnten anzweifeln ob diese “echt” sind

   – Sorge, dass Ärzte Angst und Depression für alle Beschwerden verantwortlich machen

   – bei manchen Patienten schwanken die Beschwerden, sodass sie sich an “guten Tagen” eventuell fragen, ob sie sich die Symptome manchmal nur “einbilden” (auch wenn dies nicht zutrifft)

Täuscht irgendjemand solche Beschwerden tatsächlich vor?

Die Antwort af diese Frage ist (leider) ein eindeutiges JA, allerdings kommt dies nur selten vor. In den letzten Jahren kamen mehrere Fälle, in denen Menschen von solchem Betrug profitierten, ans Licht der Öffentlichkeit.

So wurde zum Beispiel ein Mann beim Fußballspielen gefilmt, obwohl er vorgab an einen Rollstuhl gefesselt zu sein. Ein anderer wurde beim Heben schwerer Lasten gefilmt, obwohl er behauptete überhaupt nichts tragen zu können.

In einem anderen Fall wurde ein Mann, der vorgab erblindet zu sein und dafür Schadensersatz einklagte, wegen erhöhter Geschwindigkeit auf der Autobahn verhaftet.

Wenn Patienten, die Beschwerden vortäuschen untersucht werden, können einige der gleichen positiven Zeichen wie bei Patienten mit funktionellen Symptomen vorliegen, allerdings gibt es auch wichtige Unterschiede.

Sie neigen dazu, sehr inkonsequente Krankheits-Geschichten zu haben (weil sie auch diese erfinden). Sie haben nicht die gleiche Art von Geschichten wie Patienten mit tatsächlichen funktionellen Symptomen. Manchmal liegt auch ein Rechtsstreit oder ein anderer offensichtlicher Grund für die Symptome vor (obwohl dies nicht bedeutet, dass jeder der in einen Rechtsstreit verwickelt ist seine Symtome nur vortäuscht).

Es gibt auch einige Leute, die Symptome vortäuschen um eine Aufnahme ins Krankenhaus oder eine Operation zu erzwingen. Wenn dies geschieht, nennt man es artifizielle Störung und auch diese ist selten. Am besten kann man sich dies als eine Art gestörtes Verhalten wie vorsätzliche Selbstbeschädigung vorstellen.

Gelegentlich täuschen Menschen also Symptome vor und dies ist dann schwer zu erkennen. Einige Ärzte (und manchmal auch Patienten) machen einen schrecklichen Fehler zu denken, dass die meisten Patienten mit funktionellen Symptomen die Beschwerden nur vortäuschen.

Einige Patienten mit funktionellen Beschwerden werden feststellen, dass ihre Symptome auf seltsame Weise kommen und gehen. Dies kann dazu führen dass einige Patienten sich selbst fragen, ob sie die Symptome “machen”. Dies ist eine sehr häufige Erfahrung und bedeutet nicht, dass Sie die Beschwerden “machen”.

Warum nehmen andere Leute oder im Gesundheitssektor Tätige meine Symptome nicht ernst?

Wenn Sie als Betroffener auf diese Internetseite kommen, ist dies eine sehr wichtige Frage, welche klar gestellt werden muss. Patienten wollen verständlicherweise keine Diagnose, die mit Simulation/Vortäuschen verwechselt werden könnte. Ich habe zuvor erklärt wie selten Simulation ist, dennoch haben eventuell einige Gesundheitsexperten ungenügendes Wissen über Patienten mit funktionellen Symptomen und mögen auch eine negative Haltung gegenüber Ihren Beschwerden haben.

Viel häufiger zeigen Gesundheitsexperten tatsächlich eine positive Haltung zu Ihren Symptomen, haben aber Schwierigkeiten dies zu kommunizieren. Patienten können daher von in Gesundheitsberufen Tätigen beleidigt worden sein, auch wenn diese das Problem ernst genommen haben und versucht haben zu helfen.

Mit welchen unterschiedlichen Namen wurden diese Symptome bezeichnet?

Funktionelle und dissoziative neurologische Symptome haben verschiedene Namen erhalten.

Viele dieser Bezeichnungen sind “psychiatrisch” und basieren auf der Annahme, dass sich diese Beschwerden im Kopf abspielen. Es ist oft wichtig, psychologische Faktoren in Assoziation zu funktionellen und dissoziativen Symptomen zu beachten, dennoch sind die Symptome nicht “erfunden”. Die meisten Experten sind der Überzeugung, dass diese Symptome an der Schnittstelle zwischen Gehirn und Psyche entstehen, zwischen Neurologie und Psychiatrie. Daher ist die Frage, ob dieses Problem neurologisch oder psychiatrisch ist schwierig zu beantworten. Es gibt Hinweise für beides und letztendlich ist diese Frage auch nicht sinnvoll, wenn man unser derzeitiges Wissen über Bewegungs- und Emotionsnetzwerke im Gehirn berücksichtigt.

Diese Liste an Begriffen mag verwirrend sein. Dennoch kann genaueres Wissen zu einigen Begriffen das Verständnis verbessern.

Konversionstörung – dieser Begriff wurde unter Sigmund Freud “berühmt” und wird im Standard-Klassifikationssystem für psychiatrische Erkrankungen der USA (DSM-IV) verwendet. Dies basiert auf der Idee, dass Patienten psychische Belastung zu körperlichen Symptomen “konvertieren”. Konversionsstörung bezieht sich auf Symptome wie Schwäche, Bewegungsstörung, sensorische Symptome und nicht-epileptische Anfälle. Das Prinzip der “Konversion” ist etwas, das sich auf eine kleine Minderheit der Patienten anwenden läßt. In der Mehrzahl der Patienten gibt es allerdings wenig experimentelle Beweise für diese Theorie (in der Regel gilt, je schwerer die Symptome,  desto beunruhigter ist der Patient). In der bevorstehenden Revision der psychiatrischen Klassifikation (DSM-5) wird der Begriff möglicherweise zu “funktionelle neurologische Symptome”  abgeändert und auch die Forderung nach einem psychisch belastenden Ereignis in Zusammenhang mit den Symptomen wird wahrscheinlich fallen.

Dissoziative Störung – so werden diese Symptome in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD) beschrieben (für mehr Information siehe Seite über Dissoziation).

Nicht-Organisch – ist ein Begriff, welcher von Ärzten verwendet wird um Beschwerden zu beschreiben, welche nicht durch eine identifizierbare Erkrankung verursacht werden. Dies impliziert, dass es sich um ein rein psychisches Problem handelt.

Psychogen – dieser Begriff wird sehr häufig verwendet um solche Symptome zu beschreiben, vor allem dissoziative Anfälle und Bewegungsstörungen. Auch dieser Name impliziert, dass es sich um ein rein psychisches Problem handelt.

Psychosomatisch – bedeutet letztendlich dasselbe wie psychogen. Die ursprüngliche Bedeutung war die gegenseitige Beeinflussung von Körper und Psyche.

Somatisierung – schlägt vor, dass die körperlichen Symptome aufgrund einer psychischen Belastung bestehen. Die Argumente sind hier die gleichen wie für “Konversionsstörung”. Somatisierungsstörung beschreibt eine Situation, in welcher jemand ein lebenslanges Muster von körperlichen Symptomen hat, die nicht durch eine Krankheit erklärbar sind.

Hysterie – dieser Begriff existiert seit 2000 Jahren. Er bedeutet die “wandernde Gebärmutter” und stammt aus einer altgriechischen Idee, dass Frauen mit körperlichen Symptome ein Problem mit einer im Körper herumwandernden Gebärmutter hatten. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde der Begriff für jedes nicht durch eine Krankheit erklärbare körperliche Symptom verwendet. Im 20. Jahrhundert engte sich seine Verwendung speziell auf neurologische Symptome ein und wird heute immer seltener verwendet.

Patienten mit funktionellen und dissoziative Symptomen haben in den letzten 100 Jahren oft eine ungerechte Behandlung von Ärzten erfahren. Traditionell sahen Neurologen ihre Rolle lediglich als Diagnosesteller und verwiesen dann die Patienten zwecks Behandlung zu einem Psychiater.

Viele Neurologen haben über die Jahre eine schlechte Meinung über diese Art von Problemen entwickelt. Es gibt eine Tendenz bei einigen Neurologen, diese Symptome mit Argwohn zu betrachten. Andere Neurologen sind zwar wohlwollend, sehen sich aber selbst nicht fähig mit dem Problem umzugehen. Einige Neurologen ziehen basierend auf vergangene psychiatrische oder traumatischen Probleme ungerechtfertigte Schlussfolgerungen, was äußerst nutzlos sein kann. Patienten nehmen diese Dinge oft wahr, was wiederum zumindest mitschuld sein kann, dass sie die Diagnose des Neurologen nicht glauben.

Auch die meisten Psychiater fühlen sich – wenn sie nicht eng mit Neurologen zusammenarbeiten – im Umgang mit funktionellen und dissoziativen Symptome unsicher und fragen sich oft ob nicht vielleicht eine  neurologische Krankheit übersehen wurde. Ich habe an anderer Stelle auf dieser Internetseite diskutiert, wie Psychologen und Psychiater auch dann helfen können, wenn keine Depression oder Angst vorliegt. Konsiliar-Psychiater und klinische Psychologen haben eine spezielle Ausbildung in diesem Bereich und werden daher in der Regel diese Beschwerden verstehen.

Patienten mit funktionellen Symptomen haben bei Überweisung an einen Psychiater oft das Gefühl, dass der Neurologe damit andeutet, dass sich alle Probleme “nur im Kopf” abspielen. Daher verhalten sich Patienten oft im Gespräch mit dem Psychiater abweisend, sodass die Beratung dann letztendlich wenig hilfreich ist.

Als Folge all dieser Faktoren haben Patienten mit funktionellen und dissoziative Symptome oft das Gefühl durch das Netz des Gesundheitssystems zu fallen.

Funktionelle Störungen des Nervensystems: Das Rad neu erfinden

Vor 100 Jahren waren Neurologen und Psychiater der Meinung, dass diese Symptome in erster Linie auf Fehlfunktion des Nervensystems beruhen. Weiters war man der Überzeugung dass psychologische Faktoren zwar wichtig sein können, aber auch fehlen können und nicht den einzig wichtigen Faktor darstellen.

Neurologen waren an der Diagnose und Behandlung dieses Problems interessiert und schrieben Bücher über “funktionelle Nervenstörungen” mit viel gesundem Menschenverstand. Das Rad dreht sich nun wieder zu dieser Ansicht.

Meiner Ansicht nach könnte ein Großteil der Schwierigkeiten in diesem Bereich überwunden werden, wenn Angehörige der Gesundheitsberufe besser in Diagnose und Behandlung dieser Erkrankungen geschult wären.

Sie können eine von mir verfasste Übersichtsarbeit für Ärzte durch Klicken auf den rechtsseitigen Link lesen.

Denken Sie daran, dass Ihre Symptome echt sind, auch wenn Ärzte und andere Ihnen das Gefühl geben es wäre nicht so!